Psychotherapeut:innen sind aus Sicht vieler Patient:innen vergleichsweise rare Exemplare in Deutschland, auch wenn ihre Anzahl in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Im Jahr 2021 waren laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung in Deutschland 31.308 Psychologische Psychotherapeut:innen tätig. Die meisten gibt es in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Berlin, die wenigsten im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Allgemein lässt sich jedoch ein Trend zur Teilzeit und zu kürzeren Arbeitszeiten ausmachen. Die vertragsärztlichen Kapazitäten haben deshalb unter dem Strich nur leicht zugenommen. Die Suche von Patient:innen nach einer Psychotherapie ist daher hierzulande nicht leichter geworden.
So sind die Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung in Deutschland lang. Mit 3 bis 6 Monaten Wartezeit müssen Patient:innen rechnen, um einen Behandlungsplatz bei einer Psychotherapeut:in zu bekommen. Dies hat die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ausgerechnet. Die Corona-Pandemie habe dieses Problem noch weiter verschärft. In dieser Zeit hätten die psychischen Probleme in der Bevölkerung massiv zugenommen. Kontaktverbote, Schulausfälle, soziale Isolation, Homeoffice oder die Angst um den Arbeitsplatz ließen viele Menschen psychisch leiden. Als Ursache für die langen Wartezeiten sieht die Organisation die fehlenden neuen Kassensitze für psychotherapeutische Praxen.
Kassensitzvergabe für die Psychotherapie – keine Über- oder Unterversorgung
Viele Psychotherapeut:innen, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, würden gerne eine Praxis gründen, sich niederlassen und als Therapeut:in arbeiten. Doch so einfach ist es nicht, einen Kassensitz zu bekommen und sich selbstständig zu machen. Ein Kassensitz bedeutet eine Zulassung für Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen und bietet die Möglichkeit, vertragsärztlich tätig zu werden. Sie können sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte behandeln und ihre Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) steuern jedoch die Anzahl der Kassensitze in den jeweiligen Bundesländern durch eine Bedarfsplanung. Es soll keine Überversorgung von Patient:innen (z.B. in Ballungsgebieten, Großstädten), aber auch keine Unterversorgung (in ländlichen Regionen) geben. Die Zulassung ist daher immer an einen Ort gebunden. Sind in einem Gebiet genügend Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen vorhanden, werden keine Kassensitze mehr vergeben. Der entsprechende Bereich ist dann gesperrt. Grundsätzlich erfolgt diese Sperrung ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent. So sind in Deutschland heute kaum freie Kassensitze für Psychotherapeut:innen mehr verfügbar. Den meisten bleibt nur die Übernahme einer frei gewordenen Kassenzulassung.
Kassensitze für die Psychotherapie – Orientierung an der Einwohnerzahl
Maßgebend für die Vergabe der Kassensitze ist die Einwohnerzahl der jeweiligen Region. Diese Zahlen entsprechen jedoch nicht unbedingt dem aktuellen Stand. Die Zahlen werden durch komplexe Berechnungen anhand der aktuellen Bevölkerungszahlen „weitergeschrieben“. Die Bedarfsplanung hat ihren Ursprung im Jahr 1999 – hier wurde die notwendige Anzahl von Psychotherapeut:innen in einer Region für ganz Deutschland festgelegt. Daran hat sich bislang kaum etwas geändert.
Auch der tatsächliche Krankenstand in einer Region spielte für neue Kassensitze bisher keine Rolle. So wird bei der Vergabe von Kassenzulassungen derzeit nicht berücksichtigt, wie viele Menschen tatsächlich an einer Krankheit leiden und eine Behandlung bräuchten. Das ist ein wesentlicher „Haken“, den viele Fachorganisationen bemängeln. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) möchte an dieser Praxis etwas ändern und hat den sogenannten „Morbiditätsfaktor“ eingeführt, der die Krankheitslast in einer Region stärker einbeziehen soll.
Diese Regelung der Kassensitze gilt für alle Ärzt:innen, etwa der Allgemeinmedizin, aber auch für Psychotherapeut:innen. Sie können sich zwar auch ohne Kassensitz niederlassen, dann aber nur Menschen mit privater Krankenversicherung oder Selbstzahler behandeln. Ihre ärztlichen Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen können sie nicht.
Wie bekomme ich einen Kassensitz Psychotherapie?
Wenn alle Kassensitze für die Psychotherapie in einem Gebiet vergeben sind, gehen die Krankenkassen von einer Vollversorgung aus. In fast allen Gebieten Deutschlands gibt es heute eine ausreichende Versorgung –mit der Folge, dass kaum neue Kassensitze vergeben werden. Einen neuen Kassensitz zu beantragen, verspricht also kaum Erfolg.
Es gibt jedoch die Möglichkeit für Psychotherapeut:innen, eine Praxis mit Kassensitz zu erwerben. Beispiele: Wenn Vorgänger:innen in den Ruhestand gehen oder ihre Praxis aus anderen (beruflichen, privaten, gesundheitlichen) Gründen aufgeben möchte. Die jeweils in einem Bundesland zuständige Kassenärztliche Vereinigung überprüft dies und recherchiert potenzielle Bewerber:innen. Der Zulassungsausschuss entscheidet dann, wer Nachfolger:in wird. Allerdings können Vorgänger:innen auch einen Vorschlag machen – meist wird dieser angenommen, wenn keine fachlichen oder andere Gründe dagegen sprechen.
Tipp! Lassen Sie sich in jedem Fall steuerlich und zu möglichen Abschreibungen beraten, wenn Sie einen Kassensitz Psychotherapie in Aussicht haben und diesen kaufen möchten. Auch bei einem Verkauf Ihres Kassensitzes ist Unterstützung in steuerlichen Fragen und bezüglich der Abschreibung ratsam.
Was kostet ein Kassensitz Psychotherapie? Meist viel Geld!
Die Kosten für einen Kassensitz Psychotherapie lassen sich nicht allgemein beziffern. Sie hängen von den Umsätzen der Praxis, aber auch von ihrem Standort ab. Ganz allgemein sind die Kosten für eine Praxisübernahme in Großstädten meist höher als in ländlichen Gebieten.
Die Übernahme einer Psychotherapie-Praxis kann für Interessierte ziemlich teuer werden – je nach Region und Standort der Praxis sind oft bis zu sechsstellige Summen fällig. Diese bedeuten hohe Investitionen für die Nachfolger:innen, die auch angesichts der hohen Ausbildungskosten für viele kaum zu stemmen sind. Für die Inhaber:innen der Psychotherapiepraxis dient der Verkaufserlös dagegen meist der Altersvorsorge – ein Dilemma also. So gibt es von Seiten der jungen Psychotherapeut:innen die Forderungen nach einer Deckelung beim Praxisverkauf.
Den Kassensitz kaufen können Sie nach dem Gesetz übrigens nicht. Das gilt für die Psychotherapie sowie alle anderen Arztpraxen. Sie können die Kassenzulassung bei einer Praxisübernahme nur von den früheren Inhaber:innen übernehmen.
Psychotherapie-Praxis übernehmen – Patient:innenstamm ist nicht selbstverständlich
Im Vergleich zur normalen Arztpraxis sind die Kosten für den Erwerb einer psychotherapeutischen Praxis oft hoch. Ärzt:innen übernehmen nämlich nicht nur die Räume, das Inventar, medizinische Geräte und Personal, sondern auch einen Stamm an Patient:innen. Schwieriger ist dies für Psychotherapeut:innen. Denn eine besondere Ausstattung, die finanziell wertvoll wäre wie medizinische Hochleistungsgeräte, gibt es in der Regel nicht.
Auch der Patientenstamm lässt sich nicht so einfach übernehmen. Denn die Zusammenarbeit zwischen Therapeut:in und Patient:in basiert auf Vertrauen und einer Beziehung, die erst einmal erarbeitet und hergestellt sein will. Bei einer Praxisübernahme ist es daher nicht selbstverständlich, dass alle Patient:innen weiterhin in die Praxis kommen. Nach einer psychotherapeutischen Behandlung gibt es zudem eine Wartezeit von meist zwei Jahren bis zur nächstmöglichen Therapie. Andere Arztpraxen, etwa der Allgemeinmedizin, sehen ihre Patient:innen dagegen öfters, beispielsweise zu Vorsorge-Checks. Diese Faktoren schlagen sich in den Umsätzen und der Wirtschaftlichkeit einer Praxis nieder. Hohe Kosten bei der Übernahme einer Psychotherapiepraxis lassen sich somit oft nur über längere Zeiträume wieder einspielen.
Mehrere Kassensitze oder halber Kassensitz Psychotherapie
Eine Psychotherapeut:in kann im Grunde nur einen Kassensitz erwerben. Dennoch haben manche Psychotherapeut:innen gleich mehrere Kassensitze. Es gibt nämlich die Möglichkeit, bis zu vier Sitze zu kaufen, wenn auf den übrigen Sitzen approbierte Psychotherapeut:innen angestellt werden. Der Erwerb mehrerer Kassensitze ist auch möglich, wenn Sie ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZs) gründen. Dies ist mit ein Grund, warum die Preise für einen Kassensitz immer weiter in die Höhe schnellen.
Psychotherapeut:innen können aber nicht nur mehrere, sondern auch nur einen halben Kassensitz für die Psychotherapie erwerben. Sie haben in diesem Fall nur einen „hälftigen Versorgungsauftrag“. Ein Vorteil ist, dass sie noch andere Tätigkeiten daneben ausüben können. Dies kann die Arbeit in einem Krankenhaus, Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) oder einer Universität sein.
Die Kosten bei einem halben Kassensitz Psychotherapie sind – wie auch bei anderen Arztpraxen – in der Regel Verhandlungssache. Auch hier spielen Lage, Standort und andere Faktoren beim Preis mit. Wichtig ist es, sich vor einem Kauf steuerlich beraten zu lassen. Das Gleiche gilt, wenn Sie einen halben Kassensitz verkaufen möchten.
Halber Kassensitz Psychotherapie: Kapazitätsgrenze, Anzahl der Patienten, Stunden
Eine zeitliche Kapazitätsgrenze in der Psychotherapie gibt es nicht mehr. Somit kann jede Einzelpraxis so viel arbeiten wie sie möchte. Auch bei halben Praxissitzen dürfen Psychotherapeut:innen höhere Leistungsumfänge erbringen als vor der Budgetierung der Arbeitszeit. Allerdings prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Plausibilität der Abrechnungen. Hier spielt weniger die Anzahl der Patient:innen eine Rolle, vielmehr sind die geleisteten Stunden wichtig.
Ein Beispiel der KV Baden-Württemberg:
Ein auffälliges Tagesprofil entsteht in der Plausibilitätsprüfung bei vollem Versorgungsauftrag, wenn:
- an mindestens drei Tagen mehr als 12 Stunden im Tagesprofil abgerechnet werden
- der Leistungsumfang von 780 Std/Quartal (46.800 Minuten) überschritten wird.
Bei einem halbem Versorgungsauftrag ist das Tagesprofil auffällig, wenn:
- an mindestens drei Tagen mehr als 12 Stunden im Tagesprofil abgerechnet werden
- der Leistungsumfang von 390 Std/Quartal (23.400 Minuten) überschritten wird
Mit dieser Regelung kann also ein halber Praxissitz rein rechnerisch zukünftig 334,28 Sitzungen pro Quartal erbringen. Zieht man eine Woche Urlaub pro Quartal ab, kommen unter dem Strich 30,4 Therapiestunden pro Woche zusammen.
Halbe Praxissitze lassen sich also ähnlich betreiben wie ein voller Kassensitz. Psychotherapeut:innen, die einen halben Praxissitz kaufen oder verkaufen, kommt diese Regelung entgegen. Denn für den Kauf eines halben Praxissitz fallen meist geringere Kosten an. Und beim Verkauf eines halben Praxissitzen entstehen Einnahmen, ohne dass der Leistungsumfang extrem beschnitten ist. Auch für Psychotherapeut:innen, die in Zukunft nicht mehr als 30 Stunden arbeiten möchten, lohnt sich der Verkauf eines halben Praxissitzes, ohne entscheidende Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Psychotherapeut mit Kassensitz: Wie hoch ist der Verdienst?
Wie hoch der Verdienst einer Psychotherapeut:in mit Kassensitz ausfällt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So verdienen niedergelassene Psychotherapeut:innen mit eigener Praxis mehr als Angestellte in einer Praxis oder Klinik.
Anhaltspunkte für den Verdienst liefern folgende Schätzungen:
- Niedergelassene Psychotherapeut:innen mit einigen Jahren Berufserfahrung verdienen etwa 60.000 Euro pro Jahr.
- Angestellte Psychotherapeut:innen, die in einer Praxis mitarbeiten, können mit ungefähr 30.000 Euro jährlich (ca. 2.500 Euro monatlich) rechnen.
- Bei Psychotherapeut:innen, die zum Beispiel in einer Klinik tätig sind, verdienen anfangs etwa 33.600 Euro pro Jahr (ca. 2.800 Euro pro Monat). Mit zunehmender Berufserfahrung kann der Verdienst auf etwa 4.500 Euro monatlich steigen.
Kassensitz Psychotherapie: Nachfolger:innen oder Praxis finden
Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten e.V. bietet eine Praxisbörse an, wenn Sie Nachfolger:innen, Kooperationspartner:innen oder Mitarbeiter:innen für Ihre Praxis suchen – oder umgekehrt selbst auf der Suche nach einem Kassensitz Psychotherapie sind. Auch Fachzeitschriften, regionale Medien und das Internet bieten Hilfe beim Suchen und Finden.
Quellen:
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16393.php)
- Statista (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/430234/umfrage/anzahl-der-psychotherapeuten-in-deutschland-nach-bundesland/)
- Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (BPTK) (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://www.bptk.de/bptk-auswertung-monatelange-wartezeiten-bei-psychotherapeutinnen/)
- G-BA (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/968/https://www.therapie.de/aktuell/artikel/handelsware-kassensitze/)
- Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie – Berufsverband Psychosoziale Berufe (DGVT-BV) e.V. (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://www.dgvt-bv.de/news-details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=3285&cHash=45678bbaf0de5939dfc3205dcfce6a63 und https://www.dgvt.de/aktuelles/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=2712&cHash=3693735dda4252512cab3a520898110a)
- KV Berlin (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://www.kvberlin.de/fuer-praxen/faq/detailpid/detail/141)
- Psychotherapeutenkammer Niedersachsen (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://www.pknds.de/fileadmin/4.Aktuelles/Praxisberatung_2018.pdf)
- Karrieresprung.de (zuletzt abgerufen am 10.06.2022 unter https://www.karrieresprung.de/jobprofil/psychotherapeut/#Gehalt-Was-verdient-man-als-Psychotherapeut)